Gibt es den richtigen Laufstil?

Es ist ein kontrovers diskutiertes Thema unter Läufern: der Laufstil. Vorfußlaufen in minimalen Schuhen mit kaum oder sehr geringer Dämpfung würde Verletzungen minimieren, den Laufstil ökonomischer gestalten, wird uns suggeriert. Ist dem wirklich so? Ist Vorfußlaufen die richtige Lauftechnik für alle, unabhängig von Streckenlänge, Tempo und Körpergewicht? Daniel Eilers hat den Trend hinterfragt und zeigt, wie sich anhand von nur drei Fragen der perfekte Laufstil für die jeweilige Situation ermitteln lässt.

 

Wer kennt nicht die folgende Situation: Mitten im Wettkampf schiebt sich ein Kontrahent vorbei und man fragt sich, wie das mit diesem Laufstil wider jeder Theorie möglich ist. Triathlet Faris Al-Sultan könnte so einer sein. Würde man ihn nach seiner Technik beurteilen, könnte man es nicht glauben. Trotz seines Laufstils, der eigentlich jeder Theorie vom ökonomischen Laufen widerspricht, rannte der Münchener für gewöhnlich Zeiten, von denen viele Triathleten nur träumen.

Ballen, wo bist du?

Von großer Bedeutung für den Laufstil, ist die Frage nach dem Fußaufsatz. In gängiger Praxis wird zwischen Rück-, Mittel- und Vorfuß unterschieden.

Charakteristisch für den Vorfußlauf ist, dass Lande- und Abdruckphase identisch sind. Mit dem Vorfuß, auch Ballen genannt, setzt der Läufer auf und drückt sich wieder ab. Von außen erweckt es den Eindruck, als würde der Läufer tippeln. Der Körperschwerpunkt liegt dabei auf Kniehöhe oder leicht dahinter.

 

 

Beim Rückfußlauf hingegen wird über die Ferse abgerollt. Der Läufer setzt mit der Hacke auf, rollt über den ganzen Fuß ab und drückt sich anschließend mit dem Vorfuß wieder ab. Der Körperschwerpunkt liegt hinter dem Knie.

 

 

Der Mittelfußlauf ist gewissermaßen ein Kompromiss zwischen Ballen- und Rückfußlauf. Aufgesetzt wird mit dem ganzen Fuß, sich abgedrückt mit dem Vorfuß. Bei Läufern, die über den Mittelfuß laufen, ist oft zu beobachten, dass sie mit der Außenkante des Fußes aufsetzen.

 

 

Vorfuss - ja/nein?

Grundsätzlich ist nichts gegen den Vorfußstil einzuwenden, er ist genauso eine Art der läuferischen Fortbewegung wie der Rück- oder Mittelfußstil. Das bedeutet, er ist weder besser noch schlechter als die beiden anderen Stile. Vorfußlauf ist schlicht eine Alternative. Der Vorteil liegt vor allem in der höheren Kraftentfaltung. Die Bodenkontaktzeit ist kürzer, wodurch der Fuß wieder schneller in die Schwungphase übergeht.

Die Folge Die Schrittfrequenz erhöht sich. Da Laufgeschwindigkeit das Produkt aus Schrittlänge und Schrittfrequenz ist, wird man sich automatisch schneller fortbewegen. Auch für starke Überpronierer (Läufer, der stark nach innen mit dem Fuß abknickt) könnte der Vorfußlauf interessant sein. Indem das Abrollen weitestgehend vermieden wird, entfällt auch das Einknicken des Fußes nach innen. Außerdem verteilt sich die Stoßbelastung anders, insbesondere die Wadenmuskulatur und Achillessehne haben viel Arbeit zu leisten. Daher klagen reine Vorfußläufer nicht selten über Schmerzen in der Achillessehne. Die Stärke des Vorfußstils ist auch zugleich seine größte Schwäche: Er ist nicht per se gesünder, denn die Muskulatur, Sehnen und Bänder werden nicht weniger, sondern nur anders belastet. Klagen Rückfußläufer häufig über Knieprobleme, zwickt es den Vorfußläufern oftmals an der Achillesferse.

Fazit Vorfußlaufen ist keine gesündere, sondern eine alternative Art der Fortbewegung, die sich nicht anhand von Kriterien wie Ästhetik oder Gesundheit bestimmt. Im Folgenden stellen wir die drei wichtigsten Kriterien vor, mit denen Sie die perfekte Lauftechnik für die jeweilige Situation ermitteln können.

Kriterium Streckenlänge

Beim Marathon gut bei der Weltelite zu beobachten, läuft praktisch niemand die vollen 42,195 km über den Vorfuß. Nur ganz wenige ambitionierte Marathonläufer legen die Königsdisziplin tippelnd auf dem Vorfuß zurück. Aus gutem Grund, denn läuft man beispielsweise bei einem 5-km-Rennen gegen die Zeit, kämpft man beim Marathon gegen die Strecke. Das stellt völlig unterschiedliche Anforderungen an unseren Körper. Hat beim Marathon oberste Priorität, mit den zur Verfügung stehenden Kräften möglichst lange hauszuhalten, ist es beim Lauf über 5 km wichtiger sehr hohe Geschwindigkeiten lange realisieren zu können. Zwar ist der Vorfußlauf wesentlich dynamischer - es können höhere Tempi erreicht werden -, trotzdem ist er insgesamt kraftraubender als der ökonomischere Rückfußlauf und daher für einen Marathon ungeeignet. Der Mittelfußlauf als Kompromiss ist gerade für schnelle Halbmarathon- und Marathonläufer das Mittel der Wahl.

Schlussfolgerung
Vorfuß: Bahnläufe bis 5.000 m, in Ausnahmefällen bis 10.000 m
Mittelfuß: 10-km-Straßenläufer, schnelle Halb- und Marathonläufer
Rückfuß: für Halb- und Marathonläufer

Streckenprofil und Bodenbeschaffenheit

Welcher Laufstil verwendet werden soll, hängt auch ganz entscheidend vom Streckenprofil und der Bodenbeschaffenheit ab. Wer schon einmal bergauf gelaufen ist, wird automatisch auf den Vorfuß umgestellt haben. Bergab wiederum läuft es sich viel sanfter auf dem Rückfuß. Wer aber meint, auch bergab konsequent über den Vorfuß laufen zu müssen, riskiert Verletzungen.

Wichtig ist auch, die Bodenbeschaffenheit zu berücksichtigen. Wer über Geröll läuft oder in unwegsamen Gelände unterwegs ist, dem kann der Vorfußlauf empfohlen werden. Gerade bei Crossläufern ist gut zu beobachten, dass durch eine kürzere Bodenkontaktzeit, das potentielle Risiko umzuknicken, minimiert wird. Auf Asphalt hingegen ist der Rückfuß, für schnellere Läufer der Mittelfuß, das Mittel der Wahl. Bei kürzeren Distanzen, etwa 5 und 10 km, wäre auch der Vorfußstil auf Asphalt denkbar.

Schlussfolgerung:
Vorfuß: Unwegsames Gelände, Wald- und Crossläufe, Laufen auf Sand
Mittelfuß: Asphalt, Waldboden, Aschenbahn
Rückfuß: Asphalt

Konstitution des Läufers

Bei fast jedem Sportler zwickt es irgendwo. Typisch bei Läufern sind Knie- und Achillessehnenbeschwerden. Wer fortwährend mit Knieprobleme zu kämpfen hat, der sollte darüber nachdenken, seinen Laufstil zu optimieren. Beim Rückfußstil ist der Körperschwerpunkt hinter dem Knie, sodass eine erhöhte Stoßwirkung auf das Knie wirkt. Empfehlenswert wäre es, den Körperschwerpunkt in Richtung Knie zu verlagern. Dadurch würde automatisch der Laufstil umgestellt. Aber vorsichtig bei der Umstellung: Wer zu schnell und zu konsequent umstellt, bei dem werden Überlastungserscheinungen nicht verhindert, sondern nur verlegt - vom Knie zur Achillesferse.

Umgekehrt sollten Sportler, die beim Laufen Schmerzen in der Achillessehne verspüren, zur Entlastung zumindest teilweise über den Rückfuß laufen. Gerade Übergewichtigen ist der Ballenlauf nicht zu empfehlen. Durch das Tippeln auf dem Vorfuß entfällt der für den Abrollvorgang beim Rückfuß charakteristische Landgewinn am Boden. Dadurch werden zwar mehr Schritte gemacht, das prinzipiell zu empfehlen ist, aber auch die Flugphase verlängert. Folge: der Aufprall ist wesentlich stärker. Für übergewichtige Läufer wirken dadurch ein vielfaches der Kräfte auf Sehnen, Bänder, Gelenke und Muskeln. Überlastungserscheinungen sind vorprogrammiert.

Schlussfolgerung
Vorfuß: leichte Läufer ohne Achillessehnenprobleme
Mittelfuß: leicht bis mittelschwere Läufer ohne Achillessehnenprobleme, Läufer mit Kniebeschwerde
Rückfuß: schwere Läufer, Läufer mit Achillessehnenproblemen

Fazit: Richtig laufen, heißt variabel laufen

Festzuhalten ist: Barfußlaufen oder barfußähnliches Laufen ist kein Allheilmittel für jeden Läufer. Allerdings richtig eingesetzt – durch entsprechende Schuhe – ist es eine ausgezeichnete Möglichkeit, unsere (meist degenerierten) Fußmuskulatur zu trainieren. Das Laufen auf dem Vorfuß hat sich bei Bahnrennen über 5.000 und 10.000 m sowie Wald- und Crossläufen bewährt. Daraus ein Patenrezept abzuleiten, lässt nicht nur die Individualität eines jeden Sportlers außer Acht, sondern missachten, dass der Laufstil immer seinem Verwendungszweck folgt.

Das musste der Ausnahmeläufer Haile Gebrselassie am eigen Leib erfahren, nachdem er von der Bahn auf die Marathonstrecke wechselte. Richtig schnell wurde er erst, als er vom für die Bahn typischen Vorfußstil auf den ökonomischeren Mittelfuß umstellte. Infolgedessen stellte er mehrere Weltjahresbestzeiten im Marathon auf und lief im Jahre 2008 den damaligen Weltrekord. Als geschulter Läufer sollte man über alle drei Techniken verfügen und entsprechend den Rahmenbedingungen einsetzen. Das heißt aber auch: die verschiedenen Stile müssen trainiert werden. 

Fotos: Daniel Eilers


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